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Adolf Endler
Die Lofoten
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»Alle die Toten sind trunken ...«
| War es das Delirium tremens, als ich in der zweiten Hälfte der Fünfziger, übermannt von zähester Melancholie, immer und immer wieder und immer ein bißchen anders vom »Friedhof der Lofoten«, vom seltsamen, und seinen »trunkenen Toten« geschrieben habe, als wär’s ein Stück von mir? Ich finde zwanzig bis dreißig Seiten vollgekritzelt von taumelnder Hand: »Alle die Toten sind trunken / In dem seltsamen Friedhof der Lofoten. / Sie trinken in ihrem Holz / Vom kalten schmutzigen Regen. / Sie trinken und lauschen der Tropfenuhr, / Die im Herzen der Särge tickt.« (Nicht schlecht!) Eine Variante: »Alle die Toten sind trunken / in dem seltsamen Friedhof der Lofoten. / Sie tauen in ihrem Holz / und trinken vom schmutzigen Regen.&xnbsp;/ Sie trinken und lauschen der Tropfenuhr, / Die in ihren Schädeln tickt.« Undsoweiter; undsoweiter. Offensichtlich ging es mir darum, ein sowohl hervorragendes als auch ziemlich makabres Gedicht zu schreiben.
| Viele Jahre später habe ich entdeckt, daß dieses Gedicht bereits existiert – ich muß es in voll-trunkenem Zustand und höchst zustimmend abgeschrieben haben, nämlich aus der Zeitschrift »Das Lot« vom März 1948 –, und es war verfaßt von dem großen Oscar Venceslas de Lubicz-Milosz, und die erste Strophe des Original-Gedichts geht im »Lot« nicht anders als so: »Alle die Toten sind trunken / in dem seltsamen Friedhof der Lofoten / vom alten schmutzigen Regen. / Die Tropfenuhr tickt von fern / Es taut im Herzen der armen Särge der Lofoten.« (Als ich damals wieder und wieder versucht habe, eine Endler-Fassung zu erarbeiten, hatte ich möglicherweise den dumpfen Gedanken im Kopf: Ja, das ist er, mein Friedhof!) Zehn Fassungen weiter lautet der Text schon etwas schnippischer: »Alle die Toten in ihrem Holz / sind trunken vom Regen. / Alle die Toten in ihrem Holz / grinsen verwegen / Sie tranken vom braunen Regenschnaps ...«
| Eine recht andere Übersetzung als die im »Lot« habe ich dann im Enzensbergerschen »Museum der modernen Poesie« gefunden: »Alle Toten sind trunken vom alten und schmutzigen Naß / im fremden Friedhof auf den Lofoten. / Fern tickt die Tauwetter-Uhr ohne Unterlaß / im Herzen der armen Gräber auf den Lofoten.« (Übersetzung: Karl Krolow.) Der frühe Übersetzungsversuch – dessen Verfasser ich nicht mehr weiß – liegt mir trotz größerer Grobheit näher; wie gesagt, ich habe das für mein eigenes Produkt gehalten. Wie schaudert es mich bei dem Gedanken, dieses Gedicht bzw. eine im Suff fabrizierte Variante dieser oder jener Zeitschrift angeboten zu haben, ein Plagiator, ohne es zu wissen. »Alle die Toten sind trunken / in dem seltsamen Friedhof der Lofoten ...«
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