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Franzobel
Die Verfelixisierung Österreichs
  Heft 24
 
Stellen Sie sich ein Land vor, in dem keiner etwas ernst nimmt: Österreich! Der Österreicher selbst steht dem Erfolg des Österreichertums im Weg, so daß es nicht zuletzt aus wirtschaftlicher Sicht das Beste wäre, Österreich aufzulösen. Warum, das will ich hier erklären.
   Wo sind die Österreicher wirklich gut? Schifahren, Häuslbauen und Kochen! Sterben, Raunzen, Analysieren und Verstellen. Nach außen ist der Österreicher ein moderner, ja, sympathischer Mensch, vielleicht ein bißchen schlampig, dennoch elegant, charmant. Aber nach innen? Was für Steinbrüche tun sich da hinter der Fassade dieser enormen Landschaft und Geschichte auf? Der Österreicher ist ein Monolith, ein Eigenbrötler, der sich hinter den dem Tourismus freigegebenen Kulissen seine eigene Welt erschafft. Nach außen Kuhalm und Schönbrunn, aber nach innen sprachlos und verletzt, zynisch, ohne Vertrauen, aber versponnen. Insofern sind Originale wie Franz Gsellmann, der streirische Erfinder der Weltmaschine, oder Extremsportler wie Wolfgang Fasching, der Seriensieger des Race Across America, ebenso typische Österreicher wie Franz Fuchs, Hermes Phettberg oder der Kriminalpsychologe Thomas Müller. Das Skurrile, die versponnene Theorie, ist hier normal. Wo sonst gibt es ein Bestattungsmuseum, die größte Pathologische Sammlung der Welt (im Narrenturm), oder ein Museum für Elektrizitätsunfälle? Die anima mundi auf österreichisch ist grotesk, original, verstiegen, und weitgehend noch unglobalisiert.
   Also ist der Österreicher auch gar nicht Mitglied der EU – und wird es wohl so schnell auch nicht. Der Österreicher lebt nämlich nicht in Österreich, sondern in seinem eigenen, von ihm selbst erschaffenen Weltgebäude, in seinem eigenen monadischen System. Jeder Österreicher ist sein eigener Kleinstaat. Insofern gibt es Österreich gar nicht. Eine Auflösung würde also vorderhand gar nicht groß bemerkt. Der Name Österreich ist schließlich nur der Sammelbegriff für acht Millionen frei flottierende Kleinstaaten, die miteinander äußerst diplomatisch nichtkommunizieren. Der Österreicher glaubt an keinen Staat, nicht an Gerechtigkeit, nicht an Moral, an die Verfassung nicht und schon gar nicht an die Aufklärung – am ehesten noch an die Bundeshymne, aber auch da bloß, daß sie ihm gestohlen worden ist.
   Und da der Österreicher im Grunde an nichts glaubt (außer an den Glauben selbst), nicht an Recht und Gesetz, sondern nur an Erwischtwerden oder nicht, kann er nur ein Schlawiner sein, einer, der sich durchlaviert, sich seine eigenen Gesetze schafft. Doch tut er dies keineswegs aus Heldenmut oder Subversion, sondern bloß, weil er als Mensch gewordener Kleinststaat gar nicht anders kann. Der Österreicher glaubt nämlich nur an sich, kann das aber kaum je an die große Glocke hängen. Meistens muß er heucheln, kuschen, sich verstellen, daher ist er stets gespalten, unglücklich.
   Wird er bei einem Kavaliersdelikt, weil etwas anderes begeht ein Österreicher nicht, wenigstens aus seiner Sicht, erwischt, ist er duckmäuserisch und versucht, sich mit Fraternisierung und Schmierenkomödie durchzumogeln, selten nur wird er zum Querulanten. Einsichtig aber ist er nie. Einsicht ist einer Kleinstaatennatur nicht mehr möglich – dafür reicht der Platz nicht. Und trotzdem gelobt er Besserung. Wahrscheinlich, weil er davon ausgeht, daß man ihm ohnehin nicht glaubt.
   In Österreich ist das Nichternstnehmen explizit. Immer hat man das Gefühl, das Gesagte wäre gar nicht so gemeint. Alles ist durchdrungen von einem ironischen Grundton, das Gemeinte und das Gesagte sind fast immer weit entfernt, und dabei spricht der Österreicher ja eher unartikuliert, näselt, verschluckt und nuschelt. Die Muttersprache des Österreichers ist der Double-bind. Die einzigen, die wirklich etwas ernst meinen, sind die Verbitterten. Alle anderen tun nur so als ob. Das beginnt bei den Lehrern, die wissen, daß sie von ihren Schülern nicht ernst genommen werden, geht bis zu den Medien, die sich selbst nicht ernst nehmen, durchdringt praktisch die ganze Bevölkerung, führt dazu, daß jeder, der etwas ernst nimmt, sich der Lächerlichkeit preisgibt. Das ist unter anderem auch das Dilemma der Politiker, die zumindest im Parlament so tun müssen als ob.
   Ein bißchen ist es so, als ob das Sagen-wir-Spiel der Kinder auch von den Erwachsenen gespielt wird. Sagen wir, ich bin der Winnetou. Tun wir so, als ob ich der Kaiser wäre. Diese Einstellung scheint das ganze Land zu durchziehen. Tun wir so als ob, aber dabei meinen wir es gar nicht so. Das ermöglicht den Aufbau von Kulissen und Attrappen, und die sind wichtig in Österreich. Vielleicht als Konsequenz davon die Sehnsucht nach der Tiefe, die ganze Seelenwühlerei?
   Der Österreicher glaubt nicht an die Aufklärung, nicht an die Vernunft. Er mißtraut der Logik und der Sprache, selbstverständlich auch der Politik, den Medien, ja eigentlich mißtraut er allem, auch sich selbst, weil er vermutet, daß hinter jeder Pose, hinter jeder Behauptung, eine Sagen-wir-nur-so-Einstellung steckt.
   Weil dieses Mißtrauen gegen die Vernunft derart stark ist, legt man großen Wert auf das Gefühl. Das drückt sich etwa in der Kochkunst aus, in der Liebe zum Theater, zur Musik, zur Kunst und in der Leidensfähigkeit. Theaterleute, Bischöfe und Köche bilden hier die eigentliche Prominenz. Aktive Sterbehilfe aber wird nicht einmal thematisiert, weil wir an den Tod nur glauben können durch den Schmerz. Kann sein, daß dieses Durchtauchenmüssen etwas mit den Bergen und den Tunnels zu tun hat, die das Land wie Krampfadern durchziehen, wahrscheinlicher aber ist, daß es am Unaufgeklärten liegt, am Vorzug des Gefühls gegenüber der Vernunft. Vielleicht daher auch die Liebe zur Häßlichkeit, zur Perversion? In Österreich wird das Schöne immer über etwas Negatives definiert.
   Nun stellen Sie sich also ein Land vor, in dem keiner etwas ernst nimmt. Was aber keineswegs bedeutet, daß der einzelne nicht ernst genommen werden will, im Gegenteil, unfähig, selbst etwas ernst zu nehmen, ist er doch auf dieses Ernstgenommenwerden für sich selber aus. Was bewirkt, daß sich alle anstrengen, wie verrückt rackern sie sich ab, ringen um Anerkennung und Respekt. Man legt sich sonderbare, an Kakanien gemahnende Titel zu, was genau das Gegenteil erzeugt, Lächerlichkeit. Und alle neigen zu Extremen, zu Superlativen. Die Schriftsteller überbieten sich in ihren Österreichbeschimpfungen, die man sowieso nicht ernst nimmt, die Zukunftsforscher malen den Teufel an die Wand, die Maler beschäftigen sich oft mit Kot und Blut, und die Politiker radikalisieren – alle in der Hoffnung, selber ernst genommen zu werden. Doch es ist aussichtslos. Niemand nimmt hier jemand ernst. Niemals. Darum ist der Österreicher auch so glücklich, wenn er nach Deutschland kommt und plötzlich ernst genommen wird, während umgekehrt jeder deutsche Österreichtourist über kurz oder lang zugrunde gehen muß.
   Natürlich macht dieses Streben um Anerkennung ungeheure Kräfte frei, so ist der Österreicher oft ehrgeizig wie Hermann Meier, fleißig wie die Wiener Sängerknaben, unermüdlich wie Jörg Haider, gewissenhaft wie Waltraud Wagner, eine der Lainzer Mordschwestern. Das macht vielleicht auch die Grunddisposition des Österreichers aus: Jeder einzelne, sofern er sich noch nicht aufgegeben hat, ist ungeheuer arbeitsam, versucht aber zugleich, seinen Ehrgeiz hinter einer Fassade des Faulenzertums zu verstecken, weil Streber oder Ehrgeizling hier zu den schlimmsten Schimpfwörtern gehören, auf derselben Stufe wie Einschleimer stehen. Ähnlich verhält es sich mit Stolz und Patriotismus, die man nach außen hin auch niemals eingesteht, so löst etwa der Satz „Österreich ist schön“ zumindest bei einem Lesungspublikum mehr Heiterkeit als Ehrfurcht aus.
   Aber alles Streben ist hier aussichtslos. Bringen kann man es in Österreich zu nichts, einerseits nämlich gilt der Satz, daß einer von uns auch nichts Besonderes sein kann, andererseits lebt man die Maxime: Nichts gesagt ist gelobt genug. Was dazu führt, daß der Österreicher, der etwas werden will, unbedingt ins Ausland muß, wo er sich schlagartig verwandelt, sich zu seinem Österreichersein bekennt, und es fast immer auch zu etwas bringt. Auslandsösterreicher sind im allgemeinen sehr erfolgreich, so daß sich die Frage stellt, ob es dann nicht gleich gescheiter wäre, Österreich auf ein Minimum zu reduzieren, vielleicht auf den Tolitzsee, und den Rest zum Ausland zu erklären? Wahrscheinlich würde schon eine einfache Umbenennung in Ausland reichen, und der wirtschaftliche Erfolg der Neo-Auslandsösterreicher wäre garantiert. Auch menschlich wäre diese unerwartete Fremdheitserfahrung ein Gewinn. Das Gefühl, Ausländer zu sein, würde in den monadisch veranlagten Österreichern ein Gemeinschaftsgefühl erwecken, sie würden sich öffnen und zusammenhalten. Wahres Österreichersein kann also erst nach der Abschaffung Österreichs passieren. Was für eine Gespaltenheit. Tu felix Austria.
 
 
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1997 bis 2007 herausgegeben von Renatus Deckert und Birger Dölling · ISSN 1434-8306
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